Ana Caraianis Arbeit zeichnet sich durch eine Kombination aus neuen Ideen und einer Unerschrockenheit gegenüber technischen Hindernissen aus. Dies hat es ihr ermöglicht, mehrere grundlegende Theoreme im Langlands-Programm zu beweisen. In einer gemeinsamen Arbeit mit Peter Scholze, Direktor am Max-Plack-Instituts für Mathematik in Bonn, mit dem Titel „On the generic part of the cohomology of non-compact unitary Shimura varieties“ (Annals of Math., 2024) bewies Caraiani sehr allgemeine Ergebnisse über die Torsionskohomologieklassen in nicht-kompakten Shimura-Varietäten und stärkte damit die frühen Ergebnisse ihrer Arbeit von 2017 im kompakten Fall. Der Beweis ist eine Meisterleistung, die das Gebiet der perfektoiden Räume, die Beherrschung der Spurformel und eine neue Theorie über perverse Garben in der p-adischen Geometrie kombiniert. Diese Ergebnisse sind von besonderem Interesse (zum Beispiel geben sie die ersten Hinweise auf eine Version der Arthur-Vermutungen über der Charakteristik p), aber sie haben auch viele Anwendungen im gesamten Langlands-Programm. Eine spektakuläre Anwendung dieser Ergebnisse findet sich in ihrer gemeinsamen Arbeit „Potential automorphy over CM fields“ (mit Allen, Calegari, Gee, Helm, Le Hung, Newton, Scholze, Taylor und Thorne, Annals of Math., 2023), die neben anderen Ergebnissen die Ramanujan-Vermutung für modulare Bianchi-Formen beweist, ein Problem, das man zuvor für völlig unerreichbar gehalten hatte.
Die Ramanujan-Vermutung ist analytischer Natur, da sie eine Schranke für den Eigenwert eines bestimmten Differentialoperators behauptet, aber der einzige Weg, auf dem Fälle davon bewiesen wurden, verlief über die algebraische Geometrie. Insbesondere wurde die ursprüngliche Ramanujan-Vermutung für modulare Formen von Deligne in den 1970er Jahren als Folge seines Beweises der Weil-Vermutungen bewiesen. Im Fall der Bianchi-Modularformen gibt es jedoch keine direkte Beziehung zur algebraischen Geometrie, und es scheint unmöglich zu sein, direkte Ableitungen aus den Weil-Vermutungen zu machen. Langlands schlug daher (ebenfalls in den 1970er Jahren) eine andere Strategie zum Beweis der Ramanujan-Vermutung vor. Ana Caraiani und ihre Mitautor*innen bewiesen nun die Ramanujan-Vermutung für modulare Bianchi-Formen mit einer Variante dieser von Langlands vorgeschlagenen Strategie und verwendeten insbesondere nicht die Weil-Vermutungen.
In jüngster Zeit hat Ana Caraiani zusammen mit James Newton in der Arbeit "On the modularity of elliptic curves over imaginary quadratic fields" (arXiv: 2301.10509) diese Ergebnisse verbessert und auf die Modularität elliptischer Kurven über imaginären quadratischen Körpern angewendet. Mit nur wenigen Ausnahmen (die 0 % der Fälle ausmachen) kommen sie einer vollständigen Lösung des Problems nahe.
Über den Ruth Lyttle Satter Prize in Mathematics
Mit dem Ruth-Lyttle-Satter-Preis für Mathematik, der alle zwei Jahre verliehen wird, wird ein herausragender Beitrag einer Mathematikerin zur mathematischen Forschung in den letzten sechs Jahren gewürdigt. Er wurde von Joan Birman zu Ehren ihrer Schwester Ruth gestiftet. Der Preis für das Jahr 2025 wird während des Joint Mathematics Meetings im Januar 2024 in Seattle verliehen.
Über Ana Caraiani
Ana Caraiani hat eine enge Verbindung zu Bonn: 2016 wurde sie Bonn Junior Fellow.Im Jahr 2017 wechselte sie als Royal Society Research Fellow und Lecturer an das Imperial College London und ist uns seitdem als Bonn Research Fellow verbunden. Seit 2021 ist Ana Caraiani eine ordentliche Professorin am Imperial College London. Sie war eine der Gewinner*innen des Whitehead-Preises 2018 der London Mathematical Society. Im Jahr 2020 wurde sie zum Fellow der American Mathematical Society gewählt und erhielt den EMS-Preis 2020. Im Jahr 2022 nahm sie, parallel zu ihrer Position in London, einen Ruf auf einen Hausdorff Chair für ein Jahr an. Während dieser Zeit wurde Ana Caraiani mit dem New Horizons Prize in Mathematics ausgezeichnet und war eine eingeladene Sprecherin auf dem ICM 2022.