Chronisch-entzündliche Nierenerkrankungen verursachen schwerwiegende Erkrankungen bis hin zum kompletten Nierenversagen, das durch aufwändige regelmäßige Blutwäschebehandlung oder Nierentransplantation behandelt werden muss. Die meisten dieser Erkrankungen machen sich durch Eiweißausscheidung mit dem Urin bemerkbar. Denn die Millionen kleinen Filter der Niere, die so genannten Glomeruli, sind beschädigt und halten daher Eiweiß nicht mehr zurück. Es war bislang nicht zu bestimmen, ob für die Eiweißausscheidung im Urin nur wenige, aber stark beschädige, oder viele mäßig beschädigte Glomeruli verantwortlich sind. "Dies ist von großer Bedeutung für die Therapie und Prognose und könnte sich durchaus bei den vielen unterschiedlichen Formen von Nierenerkrankungen unterscheiden", beschreibt Erstautor Alexander Böhner, Assistenzarzt an der Klinik für Diagnostische und Interventionelle Radiologie des UKB, die Motivation, dieser Frage in Kleintiermodellen von Nierenerkrankungen experimentell auf den Grund zu gehen.
Sichtbarkeit von fluoreszierendem Eiweiß zur Rätsellösung nutzen
Hinter jedem Glomerulus befindet sich ein winziger Kanal, in dem der Urin weiterverarbeitet wird, bevor er in die Harnblase gelangt. Wenn nun Eiweiß in diesem Kanal detektiert wird, muss der dazugehörige Filter defekt sein. Die Herausforderung bestand nun darin, diesen Glomerulus zu identifizieren. "Dies war bislang eine unlösbare Aufgabe, denn die menschliche Niere besteht aus Millionen Glomeruli mit Tubuli, die in einer komplexen Weise dreidimensional einander umschlingen", sagt Seniorautor Christian Kurts vom Institut für Molekulare Medizin und Experimentelle Immunologie am UKB. Er ist auch Mitglied in dem Transdisziplinären Forschungsbereich 3 (TRA 3) "Life & Health" sowie im Exzellenzcluster Immunosensation2 der Universität Bonn. Das Forschungsteam hat dieses Problem gelöst, indem es die Niere chemisch transparent gemacht und mittels Lichtblatt-Fluoreszenz-Mikroskopie komplett abgebildet hat. Danach kombinierten die Bonner Forschenden einen Algorithmus zur Bildverbesserung mit einem stark parallelisierten geometrischen Algorithmus, der ein Prinzip ähnlich dem in Navigationsgeräten nutzt, die den schnellsten Weg auf einer zweidimensionalen Landkarte bestimmen. Damit konnte in einer kompletten Niere in drei Dimensionen bestimmt werden, aus welchem defekten Glomerulus fehlfiltriertes Eiweiß stammt. "Dabei summierte der Algorithmus alles detektierte Eiweiß des betreffenden Glomerulus und bestimmte so, wie viel Eiweiß dieser fehlerhaft filtriert hatte, also wie stark beschädigt er war", sagt Co-Erstautor Alexander Effland von der Interdisciplinary Research Unit (IRU) "Mathematics and Life Sciences" des HCM, der auch Sprecher der TRA 1 "Modelling" der Universität Bonn ist. "Es ergab sich eine Karte, die jedes Glomerulus und dessen Schaden in einer anderen Farbe zeigt."
Landkarte defekter Nierenfilter ermöglicht detaillierte Analyse von entzündeten Nieren
Die Bonner Forschenden wendeten diese Technik auf ein Modell der rapid-progressiven Glomerulonephritis an, einer besonders aggressiven Nierenentzündung. Sie fanden heraus, dass es Regionen gibt, in denen sich stark beschädigte Glomeruli konzentrierten. Dies ist von Bedeutung für die Diagnose per Nierenbiopsie, bei der eine Probe aus der Niere entnommen und untersucht wird. „Wird diese Probe nun zufällig aus einem schwer betroffenen Gebiet entnommen, würde die mikroskopische Untersuchung den Schwergrad der Entzündung der gesamten Niere überschätzen“, resümiert Christian Kurts. Diese Technik wird völlig neue Einblicke in die Entwicklung von Nierenerkrankungen ermöglichen. Sie ist prinzipiell auch anwendbar auf andere Organe, die modular aufgebaut sind, also aus vielen funktionellen Einheiten, wie die Leber oder die Lunge.